Rezension – Krieg der Welten (Egmont)

Marcel Scharrenbroich liefert einen detaillierten Bericht zum Comic “Krieg der Welten”, der auf dem Werk von H.G. Wells basiert und 2017 bei Egmont erschienen ist. Nach dieser ausführlichen Besprechung sowohl der Lektüre selbst, als auch deren Ursprung, sollten wohl keine weiteren Fragen offen bleiben, oder?

(©Egmont)

Deutscher Titel: Krieg der Welten
Verlag Deutschland: Egmont
Format: Hardcover
Sprache: Deutsch
Erscheinungsdatum: 12.01.2017
Autor(en): Thilo Krapp
Zeichner: Thilo Krapp

Seiten: 144
Preis: 28 €
Bezug: Egmont


(©Egmont)

Ein Film…? Ein Hörspiel…? – NEIN… es ist eine GRAPHIC NOVEL!

Eines der bedeutendsten Werke der Science-Fiction-Literatur wurde jüngst neu adaptiert… und das, auf extrem gute Art und Weise und sehr nah an der populären Vorlage, so viel kann man schon mal verraten. Wenn der begnadete, detailverliebte Autor und Illustrator Thilo Krapp sich an H.G. Wells’ zeitlosen Klassiker “Der Krieg der Welten” wagt, MUSS einfach etwas Besonderes dabei rauskommen… und das IST es auch.

H.G.WELLS :
Herbert George Wells wurde am 21. September 1866 in Bromley (einem heutigen Bezirk von London) als Sohn eines Eisenwarenhändlers und einer Hauswirtschafterin in einfachen Verhältnissen geboren. Bereits in jungen Jahren entwickelte “Bertie”, wie er von seinem Vater gerufen wurde, seine Leidenschaft für Bücher. Es sollte allerdings noch etliche Jahre und einige berufliche Stationen dauern, bis Mr. Wells seinen Namen fest in der Literaturgeschichte verankern konnte. Nach verschiedenen Beiträgen für Zeitungen veröffentlichte der Autor 1893 sein erstes Sachbuch, bevor er zwei Jahre später mit dem Roman “Die Zeitmaschine” den Grundstein für seine Arbeit als Science-Fiction-Pionier legte. Noch bevor im Jahr 1898 der unzählige Male adaptierte “Krieg der Welten” publiziert wurde, erschuf der Engländer zwei weitere Klassiker, die jedem Sci-Fi- und Literatur-Liebhaber ein Begriff sein dürften: “Die Insel des Dr. Moreau” (1896) und “Der Unsichtbare” (1897). Der im Laufe der Jahrzehnte oftmals zitierte “Krieg der Welten” galt schon damals als bitterböser Seitenhieb auf die Kolonialpolitik des britischen Empires und wurde von Wells bereits als Satire angelegt.
Herbert George Wells verstarb am 13. August 1946 in London und veröffentlichte Zeit seines Lebens, neben diesen bekannten Werken, unzählige Romane, Erzählungen und Sachbücher, die sich auch nach über 100 Jahren noch größter Beliebtheit erfreuen und dessen Name sich ohne Wenn und Aber bei den Größen der phantastischen Erzählkunst einreiht: Jules Vernes, H.P. Lovecraft, Philip K. Dick… und eben H.G. Wells.

THILO KRAPP :
Dem 1975 in Herdecke geborenen Autor und Illustrator ging das Zeichnen bereits in seiner Kindheit in Fleisch und Blut über. Mit Begeisterung zeichnete der heute in Berlin lebende Künstler seine eigens erdachten Geschichten und beweist auch heute noch, dass er seine kindliche Fantasie glücklicherweise nicht verloren hat. Bereits während seines Studiums im Fach Kommunikationsdesign beschäftigt er sich mit verschiedensten Illustrationen und bekommt sein Diplom, in eben diesem Fach, im Wintersemester 2003/2004.
Nachdem Thilo Krapp bereits eine Vielzahl von Kinder- und Jugendbüchern illustriert hat und auch für deren Cover verantwortlich war (u.a. “Die drei ???”), erschuf er auch die viel beachtete Comic-Reihe um das schwule Paar “Damian & Alexander”, deren erstes Abenteuer “Der Grüne Jaguar” 2008 im Epsilon Verlag erschien. Ein zweiter Band, mit dem Titel “Dschungelliebe”, erschien 2013.
Die im Januar 2017 bei Egmont veröffentlichte Graphic Novel “Der Krieg der Welten”, nach der literarischen Wells-Vorlage, war zugegeben mein erster (bewusster) Kontakt mit der Arbeit von Thilo Krapp… aber garantiert nicht mein letzter. Wie ich in einem sehr interessanten Interview mit “Antiheld”-Matthias hören durfte (Comic-Liebhaber werden ihn kennen…), arbeitet der Künstler bereits an einer neuen Adaption eines phantastischen Klassikers, auf die man sehr gespannt sein darf.

HANDLUNG :
Die Marsianer sind gelandet… und sie wollen nichts Gutes! In kriegerischer Absicht versuchen die Außerirdischen sich die Rohstoffe unseres blauen Planeten unter die Finger(?) zu reißen und machen bei ihrem zerstörerischen Plan vor Nichts und Niemandem halt. In riesigen, dreibeinigen Kriegsmaschinen aus Metall verwüsten sie zuerst das Vereinte Königreich, um letztendlich die gesamte Menschheit vom Erdball zu fegen.
Hauptprotagonist Robert erlebt die Invasion von Anfang an mit. Nachdem seine Warnungen vor den Invasoren vom roten Planeten nicht ernst genommen werden, macht er sich zusammen mit seiner Frau Emma auf die Flucht. Als Robert inmitten des Chaos von seiner geliebten Gattin getrennt wird, macht er sich auf die Suche nach ihr… während die Gefahr aus dem All immer weiter voranschreitet.

ADAPTIONEN :
Die wohl bekannteste und populärste Adaption von H.G. Wells’ Roman dürfte das legendäre Hörspiel von Orson Welles und dem Mercury Theatre sein, dass am Vorabend von Halloween 1938 die Menschen an den Radios an eine tatsächliche Alien-Invasion glauben ließ und in Form einer fiktiven Reportage für Panik sorgte. Der amerikanische Radiosender CBS, der das ganze nach einer Adaption von Howard Koch sendete, verlegte die Handlung von England in die USA, was die dort lebenden Zuhörer gehörig verunsicherte, dem jungen Orson Welles aber eine große Karriere ebnete. 1977 wurde auch in Deutschland eine überarbeitete Version des Hörspiels im WDR gesendet.

1953 erfolgte eine erste Verfilmung des Stoffes von Regisseur Byron Haskin unter dem Namen “Kampf der Welten”. Die durch ihre Effekte damals bahnbrechende und auch Oscar-prämierte George Pal-Produktion verlegte die Handlung ebenfalls in die USA und startete damit eine Welle von Invasions-Filmen. Die Hauptrollen übernahmen hier Gene Barry und Ann Robinson.

Regie-Urgestein und Blockbuster-König Steven Spielberg erwarb die Rechte des Hörspiel-Scripts von Howard Koch und entfachte 2005 einen erneuten „Krieg der Welten“ auf der Leinwand und bediente sich neben der literarischen Vorlage auch beim Kinofilm von 1953. Der für Spielbergs Verhältnisse ungemein düstere Katastrophen-/Alien-Thriller, der das Thema „Krieg“ und „Flucht“ erschreckend thematisiert und gerade in heutigen Zeiten wieder aktueller denn je macht, bekam überwiegend gute Kritiken und avancierte mit einem Einspielergebnis von fast 592 Millionen $ zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres 2005. Das doch sehr versöhnliche und etwas kitschige Ende mag zwar nicht recht zum düsteren Grundton des Films passen und mag etwas aufgesetzt wirken, doch so bekommt man wenigstens nochmal einen Blick auf die beiden Hauptdarsteller aus der 53’er-Verfilmung, die hier einen kleinen Gastauftritt absolvieren durften. Neben Zugpferden wie Tom Cruise und Tim Robbins dürften auch bekannte Namen wie Dakota Fanning oder Miranda Otto für volle Lichtspielhäuser gesorgt haben. Allein in Deutschland immerhin 2,7 Millionen Zuschauer. Oscar-Nominierungen für die Effekte und den Sound gab es auch, sowie einige Nominierungen für die Saturn Awards… von denen sich Dakota Fanning einen als “Beste Nachwuchsdarstellerin“ auf die junge Schulter packen durfte. Als i-Tüpfelchen bekam die spielbergsche Invasion von der Deutschen Film- und Medienbewertung noch das Prädikat „besonders wertvoll“ aufgedruckt.

Die amerikanische Trash-Schmiede „The Asylum“, die mit Vorliebe billige Low-Budget-Streifen zu aktuellen Blockbustern wie am Fließband produziert, brachte 2005 eine eigene Version des Stoffes unter dem Namen „H.G. Wells‘ War of the Worlds“ auf den Heimkino-Markt, der bei uns erst im Jahr 2011 als „Krieg der Welten 3 – Wie alles begann“ vermarktet wurde. Man mag sich jetzt wundern, warum „3“ und nicht „2“??? Ja… die Frage ist begründet und die Antwort ehrlich gesagt ziemlich dämlich: „War of the Worlds 2: The Next Wave“ wurde von „The Asylum nämlich 2008 produziert und diente als Fortsetzung ihrer 2005er-Version, während in Deutschland „Krieg der Welten 2 – Die nächste Angriffswelle“ als Fortsetzung der Spielberg-Variante herhalten sollte. Schlicht und einfach hat man hier „The Asylum“s Erstling als Teil 3 vermarktet und die Reihenfolge vertauscht. Schön doof, aber auch nicht weiter schlimm, da der Murks eh für die Tonne ist und es schon schlimm genug ist, dass ich mich hier Groß und Breit darüber auslasse…

Auch in anderen filmischen Adaptionen wurde sich fleißig bei Mr. Wells bedient und sogar in Springfield entfachte in einer Halloween-Episode der „Simpsons“ der „Krieg der Welten“. Tim Burtons „Mars Attacks!“ kann eine gewisse Ähnlichkeit auch nicht leugnen, wenn er sich auch nur sehr frei und auf einem anderen Level an der Thematik orientiert. Aber nicht nur in Film und Fernsehen wurde auf das Original zurückgegriffen, auch in anderen Medien wurde verwurstet was ging. In Comicform erschien die Geschichte bereits als Teil der „Illustrierten Klassiker“ im Jahr 1956 in Deutschland, während sich in den USA Marvel, DC und Dark Horse Comics bedienten. Auch in Alan Moores „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ fand die Story Verwendung. Selbst Entenhausen wurde nicht verschont…
Man sieht, Wells‘ Werk hat immer noch großen Einfluss und das, mit absoluter Berechtigung. Der Wahlberliner Thilo Krapp erfüllte sich mit seiner werkgetreuen Umsetzung einen Kindheitstraum und legt ein Buch vor, das sich mehr als sehen lassen kann. Optisch UND inhaltlich!

GRAPHIC NOVEL :
Hervorzuheben wäre als Erstes, dass Thilo Krapp sich den Original-Roman zur Vorlage für seine Graphic Novel genommen hat. Wir haben keine modernisierte, abgewandelte Story, die nur an die Thematik „angelehnt“ ist… Nein, wir befinden uns wirklich im viktorianischen England, mit all seinen charakteristischen Eigenschaften, die uns Seite für Seite mit unglaublicher Detailverliebtheit anspringen. Kleidung, Frisuren, Gebäude… alles wirkt, wie direkt aus vergangenen Zeiten entsprungen. Bereits beim Öffnen des edlen, toll gestalteten Hardcovers fällt uns eine Karte von Surrey ins Auge, die auf die Innenseite des Buchdeckels gedruckt ist und dem Leser Roberts Weg durch das Chaos offeriert. Das sepia-farbene, hochwertige Papier verstärkt den Eindruck, sich in einer lange zurückliegenden Epoche zu befinden und Thilo Krapps Zeichnungen setzen dem Ganzen dann die wohlverdiente Krone auf. Von anfänglicher, ländlicher Idylle wird man quasi mitgerissen durch die dynamischen Panels, wenn das Chaos ausbricht. Niemals unübersichtlich, immer detailliert und optisch in schönen Grautönen in Szene gesetzt folgen wir Robert bei seiner Flucht durchs viktorianische England und kommen aus dem Staunen nicht mehr raus, wenn dreibeinige, gigantische Maschinen Gebäude eindrucksvoll pulverisieren.
Im hinteren Teil des abgeschlossenen Bandes lässt Thilo Krapp uns dann noch an seinen akribischen Recherchen teilhaben und wir sehen Figurenstudien, Skizzen und Entwürfe, die der Künstler größtenteils direkt vor Ort recherchiert hat. Daran erkennt man, wie sehr ihm dieses Projekt am Herzen lag und man bekommt als Leser direkt Lust, nochmal von vorne zu beginnen und sich an den kleinen Details zu erfreuen.
Hier hat der Egmont Verlag absolut alles richtig gemacht und man bekommt ordentlich was geboten… qualitativ und inhaltlich auf sehr hohem Niveau. Leider soll dieser Band vorerst die letzte Veröffentlichung von Egmont im Graphic Novel-Sektor sein, aber vielleicht überlegt man es sich ja nochmal, wenn Thilo Krapp sein nächstes Werk vorlegt. Profitieren würden mit Sicherheit alle davon… natürlich auch wir Leser. 😉

FAZIT & LETZTE WORTE (versprochen…) :
Wer die Rezension tatsächlich bis hierhin gelesen hat, den dürfte es nicht verwundern, dass ich natürlich gar nicht anders KANN, als die Höchstpunktzahl für „Idee“, „Umsetzung“ und „Illustration“ zu vergeben. Ein Werk wie „Der Krieg der Welten“, welches prägend für die Science-Fiction-Literatur war und IST, kann man einfach nicht unter 10 Punkten bewerten… und wenn sich ein moderner Künstler so akribisch mit der Materie und der Gestaltung auseinandersetzt und seine Adaption sich so nah, wie nur irgend möglich, an die Vorlage hält… bitteschön, auch hier die volle Punktzahl.
Ich bin nach jahrelanger Abstinenz (seit Mitte der 90er) erst vor einem knappen Jahr wieder zum Medium Comic zurückgekehrt und konnte, mit ordentlichem Nachholbedarf, einige fantastische Werke in letzter Zeit zum ersten Mal bestaunen… Tolle, ausführliche Rezensionen und Empfehlungen brachten mir Meisterwerke wie Art Spiegelmans „Maus“, Jeff Lemires „Der Unterwasser-Schweisser“, „Melvile“, „Locke & Key“ oder Gaimans „Sandman“ nah… und einmal über den Tellerrand geblickt, hatte ich auch Glücksgriffe wie Nils Oskamps „Drei Steine“, Stjepan Sejics „Sonnenstein“ oder den grandiosen Vatikan-Thriller „Offenbarungen“ auf meinem Lesestapel. Thilo Krapps wunderbare Adaption von „Der Krieg der Welten“ reiht sich nahtlos in diese Reihe ein und gehört zu den Büchern, die man gerne mal öfter aus dem Regal holt, um sich an ihnen zu erfreuen.