Bericht vom “Festival International de la Bande Dessinée d’Angoulême 2018”

Timo hatte mich gebeten, einen Gastbeitrag über meinen Besuch in Angouleme zu verfassen und wenn der Captain ruft, dann kann man nur ja sagen. 🙂

Ich war zwar akkreditiert vor Ort, aber dadurch hatte ich kaum Vorteile. Es gab weder Early Bird Tickets, noch einen früheren Einlass für Presse oder „Professionals“, wir konnten zwar durch separate Eingänge in die Zelte, diese öffneten aber zur gleichen Zeit wie die normalen Eingänge. Ebenso gab es keine VIP Schlangen oder Fast Access Lanes bei den Künstlern. Ohne dieses „Pay to win“ gab es also gleiche Chancen für alle ein großer Gegensatz zu den Cons, aber auch zu Erlangen, wo bei den frühen Künstlern die Schlangen oft schon vor der allgemeinen Öffnung durch die Professionals voll sind.
Alle Signaturen und Dedicaces (Zeichnungen) waren kostenlos, man musste aber ein Comic am Stand des jeweiligen Verlages kaufen. In der Regel lief alles über First come / First serve-Basis, nur bei wenigen Verlagen wurden die Dedicaces ausgelost (z.B. Urban Comics = DC).
Das heißt: Alles was ich dort erlebt oder erreicht habe, hätte auch jeder andere Besucher in der der gleichen Zeit ebenfalls erreichen können.
Aber genug der Vorworte, legen wir los:

Angouleme ist eine kleine bis mittlere Stadt, mit etwas über 40.000 Einwohnern – aber es ist keine Stadt mit einen Comic Festival, sondern es ist DIE Stadt des Comics. Dies merkt man schon wenn man aus dem Bahnhof tritt und direkt auf einen großen Goscinny-Obelisk trifft.

Ich traf am Vorabend des Festival gegen Abend dort ein – und es begann sofort ein Kampf um die wenigen Taxis. Da meine Bekannten vom Münchner Comic Festival schon am Nachmittag gekommen waren, fuhr ich nicht erst ins Hotel, sondern direkt zur Bar Le Chat Noir, die auch in den nächsten Tagen unsere Anlaufstation nach dem Festival sein sollte. Direkt vor dem Hauptzelt gelegen war sie Treffpunkt für zahlreiche Fans und Künstler und eigentlich immer proppenvoll. Auf der Taxifahrt bekam ich schon eine Ahnung, was mich in den nächsten Tagen erwarten würde. Die Straßen sind teilweise nach Comic-Zeichnern benannt, viele Häuser sind komplett mit Comic Motiven bemalt.

Überall hingen Plakate und Banner. Aber auch die Sicherheitsvorkehrungen waren sehr groß. Sehr viele Straßen waren mit großen Pollern geschützt, in den Einfahrten der Fußgängerzonen standen oft zusätzlich große Lastwagen quer und die Polizei war mit schwerem Gerät ebenfalls sehr präsent. Dies sind wohl Nachwehen der letzten Anschläge in Frankreich.
Eine andere Besonderheit fiel mir auch schon auf der Taxifahrt auf. Es gab nicht einen großen Veranstaltungsort, sondern über die ganze Stadt waren große Zelte verteilt. Dazu gab es auch in vielen der meist älteren Häusern Ausstellungen.

Die Taxifahrt ins Zentrum kostete rund 7 € und die schwarze Katze platzte aus allen Nähten. Verleger, Händler und auch schon einige Künstler diskutierten und tranken sich in Festival Stimmung. Für mich wurde es kein langer Abend, weil ich für den nächsten Tag schon viel geplant hatte, das Manga-Zelt mit den Superstars Urusawa (20th Century Boy & Monsters) und Mirashima (Fairy Tail) standen ganz oben auf der Liste.
Unser Hotel lag etwas dezentral (im Zentrum war alles ausgebucht und zu teuer) und wir hatten einen ca. 15 minütigen Fußweg zum Manga Zelt. Es gab zwar auch kostenlose Pendelbusse, aber die fuhren erst um 9 Uhr (Öffnungszeit war 10 Uhr) und wir wollten früher da sein. So gegen 8:30 waren wir vor Ort … am Professionell Eingang waren schon ca. 10 Leute, am normalen Eingang so um die 100-150. Als Punkt 10 Uhr die Türe geöffnet wurden, waren es wohl jeweils 3-4x so viele. Klingt nicht so imposant, aber dies war ja „nur“ das Manga Zelt – am Hauptzelt waren es noch deutlich mehr. Urusawa sollte nur signieren – und selbst dafür wurde gelost, da er nur Zeit für 60 Signaturen – incl. Foto – hatte, aber rund 200 Leute darauf warteten. Ich hatte Glück und wurde ausgelost. Marashima war erst um 16 Uhr dran und er zeichnete auch – aber die 60 Tickets dafür wurden bereits am Morgen nach “First come”-Prinzip vergeben. Auch hier hatte ich Glück. Der Tag begann also sehr gut. Japanische Superstars wie die beiden Künstlern sucht man sonst in Europa vergebens … man sehe sich nur das Line-Up der Manga Con in Leipzig an. Da wir in der Urusawa-Schlange ganz vorne standen, wurden mein Kumpel und ich vom japanischen Fernsehen interviewed. Die waren mit einem großen Team vor Ort und verfolgten ihre Stars auf Tritt und Schritt.

Nach Urusawa nutzen wir die Zeit bis zum Mirashima Termin und uns das große Hauptzelt vor der schwarzen Katze anzuschauen. Hier befanden sich die ganzen großen französischen Verlage, wie Dargaud und Glenat, aber auch Urban Comics (DC) und Panini. Dieses Zelt alleine war schon deutlich größer, als die Halle in Erlangen. Und sie war randvoll mit Comics. Und zwar nur Comics. Kein Merchandise (gab es in anderen Hallen – aber auch dort sehr wenig), nix mit TV-Serien .. keine T-Shirts … einfach nur Comics – oder BD`s, wie die Franzosen sagen.
Dabei kamen wir eher zufällig am Signierstand von Yoann vorbei, dem aktuellen Spirou-Zeichner, an dem gerade niemand stand. Schon hatten wir unsere erste Zeichnung. Jetzt wollten wir noch kurz in die schwarze Katze, um uns vor Mirashima noch zu stärken. Klappte aber nicht, weil wir an Sean Phillips Stand vorbei mussten und dort nur ca. 7 oder 8 Leute in der Schlange standen. Also schnell den Luxusband von Kill or be Killed gekauft und angestellt. Ca. 45 Minuten später war mein Sketchbuch um einen Tracy Lawless reicher. Die Zeit reichte dadurch zwar nur noch für ein Baguette to Go – aber wir waren ja nicht zum Essen hier.
Mirashima signierte keine Comics und zeichnete nicht in Sketch Books, er hatte ca. bierdeckelgroße Kacheln, auf die er den Fans einen Wunschcharakter zeichnete. Da mich Fairy Tail nicht sonderlich interessiert, hatte ich schon ein kleines Mitbringsel für eine Arbeitskollegin. Der Tag klang dann in einem noblen französischen Restaurant aus. Dabei lernte ich, dass für einen Franzosen „medium“ eine andere Bezeichnung für „fast roh“ ist. Nach einem Absacker in der Katze waren wir gegen 24 Uhr wieder am Hotel.

Der folgende Freitag war Klassenfahrt-Tag. Da in Frankreich BDs als 9. Kunst gelten, fahren viele Schulklassen nach Angouleme. Überall in der Stadt und den Zelten wimmelte es deshalb von 6. oder 7.-Klässlern. War es am Vortag noch relativ ruhig und gemütlich, so war heute ein unglaublicher Lärm und ein wahnsinniges Gewusel.

Glücklicherweise interessierten sich auch die Jüngsten weniger für US-Comics, sondern eher für die Franzosen und Mangas. So kam ich relativ entspannt zu Zeichnungen mit Dave McKean und Marco Martin und es war sogar genügend Zeit für einen längeren Plausch mit Dave, an dem sich dann auch Peter Tomasi beteiligte, der als Autor ein recht ruhiges Leben hatte.

Den Nachmittag nutzten wir, um mich etwas in der Stadt umzuschauen. Dort trafen wir Philipps und Adlard in einem örtlichen Comicladen und nutzten die Gelegenheit, Sean zum Comic Festival in München einzuladen. Danach besuchten wir eine Kirche, die selbstverständlich eine Comic Ausstellung beinhaltete. In einem Schuhgeschäft saß ein Zeichner im Schaufenster und ein Schild versprach jedem Käufer eines Paar Schuhe eine Zeichnung. Jedes Kaufhaus hatte irgendeine Comic Ausstellung und ich habe den ganzen Tag keinen Menschen gesehen, der nicht eine prall gefüllte Tasche mit Comic-Motiv mit sich führte. Der Abend klang dann wieder in der Katze aus.

Am Samstag reiste ein Teil unserer Gruppe nach dem Frühstück schon wieder ab. Deshalb kamen wir erst recht spät zu den Zelten. Es war noch voller als am Freitag, die Besucher waren nur im Schnitt 20 Jahre älter als am Vortag. Aber auch das erwachsene Publikum steht deutlich mehr auf Franko-belgische Comics, als auf Superheldenkram. Blöd für meinen kongenialen Kumpel Michael, der Loisel, Liberatore und noch ein paar Franzosen, deren Namen ich schon wieder vergessen habe, auf der Wunschliste hatte. Wir trennten uns also – und in den zwei Stunden, die er bei Liberatore wartete, bekam ich hervorragende Sketches von Juan Doe (Wolverine, Deadpool), Paul Azaceta (Outcast, Spider-Man, u.v.m.) und Matt Kindt (Valiant). Paul ist nicht nur einer der besten jüngeren Zeichner, er ist auch supernett. Natürlich habe ich auch versucht, ihm das Münchner Comic Festival 2019 schmackhaft zu machen.

Da sich der Geldbeutel langsam leerte, gab es diesmal kein frugales Mahl – der Abend klang in einer Fast-Food-Bude aus.
Am Sonntag hatten wir nur 3 Stunden Zeit, da wir bereits am frühen Nachmittag wieder nach Hause fuhren – aber noch ein wichtiges Ziel: Mikel Janin. Der Catwoman-, Grayson- und Batman-Zeichner zeichnete von 10-11 Uhr … und zwar genau 10 Sketche – first come first serve. Ein schwerer Task, weil die Zelte ja eben auch erst um 10 Uhr aufmachen. Wir waren deshalb um kurz vor 8 Uhr bereits am Zelt. Und vor uns standen an unserem Eingang bereits ca. 100 andere Professionals, vor den öffentlichen Eingängen noch deutlich mehr.. Ziemlich hoffnungslos stürmten wir um 10 Uhr also zum urban Stand … und waren die ersten (also eigentlich der dritte und vierte).
Grandios. Am direkt gegenüber liegenden Stand bei Joann Sfar (Petit Vampire) dürften zur gleichen Zeit schon über 100 Fans eine schier endlose Schlange gebildet haben.
Um 10:30 war also der Janin im Sketchbuch … und damit war der offizielle Teil für uns beendet.

Wir verließen die Zelte und schauten uns zum Abschluss noch die Cosey- und die Urusawa-Ausstellungen an. Schwer bepackt standen wir dann gegen 14:30 am Bahnhof und machten uns auf den Heimweg. Neben den vielen schönen Sketchen hatte ich auch 16 Kilo neue Comics im Gepäck (zu Hause gewogen).

Fazit: Angouleme ist fantastisch … nicht nur die schiere Anzahl von Künstlern (außer den oben erwähnten gab es bestimmt noch 400 andere Zeichner), sondern einfach das gesamte Flair der Stadt und der Veranstaltung ist unglaublich. Für mich auch toll: Es ging um Comics, Comics und Comics … nicht um Figürchen, nicht um Cosplay oder T-Shirts oder Fernsehserien …
Der Wermutstropfen: Die Comics sind alle Französisch. Die Franzosen wissen, wie man Comics macht, die Ausgaben sind deutlich besser und schöner, als die vergleichbaren deutschen oder amerikanischen Ausgaben – nur leider werden die oben erwähnten 16 Kilo Comics bei mir nie gelesen werden, denn ich spreche diese Sprache eben nicht. Trotzdem werde ich 2019 wieder da sein, dann ist nämlich Richard Corben Festival-Präsident – und den brauche ich auch noch in meinem Sketchbuch.

Sie lasen einen Gastbeitrag von Christian Albert
Copyright aller Bilder: Christian Albert