Rezension – Kill or be Killed #1 (Splitter)

Marcel Scharrenbroich hat sich Ed Brubakers hoch gelobtem Comic “Kill or be Killed” angenommen, der Ende letzten Jahres beim Splitter Verlag erschienen ist. Gewohnt ausführlich beschreibt er dabei sowohl den Autor, als auch die Story und schildert anbei, ob die allerorts verlautbarten Lobeshymnen gerechtfertigt sind, oder man das Ganze auf Grund des großen Autorennamens overhyped hat.

(©Image Comics, erschienen bei Splitter)

Deutscher Titel: Kill or be Killed
Verlag Deutschland: Splitter
Verlag Original: Image Comics
Format:
 Hardcover
Sprache: Deutsch
Erscheinungsdatum: 16.11.2017
Autor(en): Ed Brubaker
Zeichner: Sean Phillips, Elizabeth Breitweiser

Seiten: 128
Preis: 19,80 €
Leseprobe: Splitter
Bezug: Splitter


(©Image Comics, erschienen bei Splitter)

„Faster, Pussyboy! Kill! Kill!“

So, so… eine Story über einen Typen, der einen Pakt mit einem Dämon eingeht. Tja, DAS ist ja mal was GANZ Neues! Und wenn das arme Opfer nicht spurt, gibt es ein One-Way-Ticket zur Hölle… oder wie? BUUUHUHUUU *wildmitdenarmeninderluftfuchtelnd*. Wie ist der feine Herr Autor denn bitteschön DARAUF gekommen?
Ganz einfach: Der feine Herr Autor ist im Falle von „Kill or be Killed“ ein gewisser Ed Brubaker. Jaaaa genau. Ach so… reicht noch nicht? Na gut… Brubaker wurde bereits mehrfach mit dem Harvey- und dem renommierten Eisner-Award ausgezeichnet und ist auch regelmäßig auf den Nominierungslisten für die Comic-Oscars vertreten. Bei Marvel ließ er „Captain America“ über die gepinselte Klinge springen und schrieb Storylines für „Daredevil“, „Secret Avengers“, „Uncanny X-Men“ und „Fear Itself“. Beim Konkurrenten von der anderen Straßenseite – ein kleines Häuschen mit den angeklöppelten Buchstaben D und C – legte er Hand an „Catwoman“ (das alte Ferkel!), „Gotham Central“, „Hawkman“, „Robin“ und natürlich mehrfach an den dunklen Ritter höchstpersönlich. Neben Arbeiten für Vertigo, Dark Horse und Wildstorm schrieb Brubaker auch „Velvet“ für Image Comics. Dort erscheint auch seine gefeierte Reihe „Kill or be Killed“, die der Splitter-Verlag kürzlich auch in deutschsprachige Gefilde brachte. Diese kleine Auflistung, quer durch das Schaffen des erfolgreichen Schreiberlings, soll zeigen, dass die Story um den verfluchten Bengel, dem ein Dämon im Nacken sitzt, nicht so einfach und platt ist, wie sie vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag:

So hart es sich vielleicht anhören mag, aber Dylan ist… ein Otto! Ein Philipp, wie er im Buche steht. Jung, erfolglos und zudem bis über die Hutkrempe verknallt in seine beste Freundin Kira. Schön blöd, dass diese dann auch noch mit Dylans Kumpel und Mitbewohner Mason liiert ist. Bei jedem Besuch von Kira zerreißt es Dylan das Herz, denn sie ist nicht wegen ihm da, sondern wegen… IHM. Doch eines Abends passiert es: Während Mason kurz aushäusig ist und dem Pizzabäcker beim Pizza backen zusieht, kommen Kira und Dylan sich näher. Es bleibt nicht bei einem einmaligen Ausrutscher und jede Begegnung wird ein Tanz auf der Rasierklinge… eine beschissene Zwickmühle. Dylan ist dem Mädchen seiner Träume nah wie nie zuvor, aber er hintergeht seinen Freund und Mitbewohner. Tja nu, manch einer mag denken, dass es Dylan schlimmer hätte treffen können, aber Momentchen, das war‘s ja noch nicht: Die Wände in der Bude sind dünn… zu dünn. Er hört zwar nicht das wilde Treiben von Kira und Mason, da die beiden ihrer trauten Zweisamkeit nur in Dylans Abwesenheit frönen. Aber er ist sich sicher, dass er es hören KÖNNTE. Was er dagegen hört, sind deren Gespräche. Als er eines Nachts Ohrenzeuge einer Unterhaltung wird, zerplatzt seine herzförmige Seifenblase mit einem lauten „PLÖPP“. Kira gesteht Mason, dass Dylan ihr leidtut. Er tut ihr leid? Pah… was war er? Ein verdammter herrenloser Hund, der hilfsbedürftig durch die Straßen irrt? Dylan ist innerlich zerstört. In diesem Moment fasst der labile Bursche den Entschluss, seinem bedauernswerten Leben, das er ja anscheinend führt, ein Ende zu setzen. Er steigt aufs Dach des mehrstöckigen Gebäudes und lässt sich in die Tiefe fallen… ENDE.

Ne, quatsch… Kurz nach seinem Abflug, Richtung Kopfsteinpflaster, kommt der lebensmüde Bengel auf den Trichter, dass er ja doch irgendwie am Leben hängt und der Köpper in die Tiefe nicht die beste Idee des Abends war. Hmmm… bescheuerte Sache… irgendwie. Aber Glück im Unglück: Dylan brettert in eine gespannte Wäscheleine und sein Fall wird durch einen aufgehängten Teppich abgebremst. Er überlebt den Express-Freiflug und landet geläutert auf dem Boden der Tatsachen… also mit dem Hosenboden auf der Straße. Geschockt und unterkühlt schleppt sich Dylan zurück in die Wohnung, fest entschlossen Kira am nächsten Tag sein zersplittertes Herz zu öffnen und ihr seine Liebe zu gestehen. Doch der junge Mann sollte in dieser Nacht noch ungebetenen Besuch bekommen. Nein, nicht die drei Geister der Weihnacht… aber vielleicht ein entfernter Verwandter: Ein dunkler Schatten reißt Dylan aus dem Schlaf. Das namenlose, schemenhafte Etwas offeriert ihm, dass er dem Wesen eine Pacht schuldet. Eine Pacht für sein achtlos weggeworfenes Leben. Ein Leben für ein Leben. Dylan soll für die geisterhafte Erscheinung töten. Er soll zum Mörder werden und die richten, die es verdient haben, sonst… sonst… sonst KNALLTS IM KARTON! Wenn er der höflichen Bitte des freundlichen Dämons nicht nachkommen sollte, war’s das endgültig für Dylan. Ein Opfer pro Monat soll er darbringen. Ein Menschenleben nehmen… Monat für Monat… für Monat… für Monat…

Am nächsten Tag glaubt Dylan halluziniert zu haben. Es muss eine Einbildung, ein Fiebertraum gewesen sein. Der Schock durch den missglückten Suizidversuch. Genau, denn Dämonen gibt es nicht. Ganz einfach. Punkt. Doch… warum fühlt er sich dann von Tag zu Tag schlechter? Je näher das Monatsende voranschreitet, desto kritischer wird sein Zustand und Dylan sieht nur eine Möglichkeit zur Linderung: Er muss töten. Aber wen? Und wie? Einen Menschen, der es verdient hat zu sterben… Aber woran macht man fest, wer den Tod verdient? Egal, einer muss dran glauben. Ein Leben für ein Leben… sonst geht es auf der eigens reservierten Überholspur mit Vollgas in die Hölle. Irgendein Dreckskerl wird sich schon finden lassen. Die Stadt ist groß genug und düstere Ecken, aus denen die Maden der Gesellschaft bei Einbruch der Dunkelheit kriechen gibt es überall. Dylan greift zur Waffe… zögert kurz und… PENG!

Ed Brubaker erzählt „Kill or be Killed“ wirklich packend und realitätsnah. Aus der Sicht des Hauptprotagonisten geschildert, rätselt der Leser, ob Dylan wirklich einen dämonischen Pakt eingegangen ist, oder ob ihm einfach nur ein paar Schwalben im Nest fehlen. Ein düsterer Plot, der moralische Fragen aufwirft und Selbstjustiz erschreckend und eindringlich thematisiert. Ein hartes und nachhaltiges Erlebnis. Knallhart ist schon der Einstieg in Dylans Geschichte, der bereits auf den ersten Seiten zeigt wo es langgeht und den blutroten Hammer kreisen lässt. In Rückblicken teilt Dylan uns dann mit, wie sein mittlerweile knüppelharter Alltag sich in nur einer Nacht veränderte.
Knüppelhart sind auch die detaillierten Zeichnungen von Sean Phillips. Seine fein ausgearbeiteten Charaktere unterstreichen den realistischen Ton der Geschichte und große Schwarzflächen tragen mit gut gesetzten Schattierungen zur düsteren Atmosphäre erheblich bei. Auch die Gesichtszüge der Protagonisten wurden stimmungsvoll umgesetzt. Die blasse, erdige Kolorierung von Elizabeth Breitweiser unterstreicht die Thematik ebenfalls angemessen.

Von „Kill or be Killed“ hört man nichts Schlechtes. Warum sollte man auch? Der Comic kann nämlich in allen Belangen überzeugen und auch die leisen Momente, in denen es um das Liebesleben, oder die Familiengeschichte der Protagonisten geht und auch Tragisches und Verabscheuungswürdiges aus der Vergangenheit zu Tage gefördert wird, sind alles andere als langweilig. Wenn Dylan aber erst mal Blut geleckt hat, scheut er sich auch nicht, dieses großflächig über die Panels zu verteilen.
Der erste Hardcover-Band aus dem Hause Splitter macht alles richtig und liefert durch sein Book-Format sogar größere Bilder als die US-Einzelhefte des Image Verlags. Glücklicherweise hat Splitter bereits den zweiten Sammelband für Juli 2018 angekündigt. Doppeltes Glück, denn schon im Oktober soll dann Band 3 erscheinen!